Warum Innovationen Lieferketten zum Laufen bringen

Mit Hilfe neuer Technologien können Unternehmen stockende Lieferketten neu knüpfen und das System krisenfester gestalten.

Zentrale Punkte
  • Die Auswirkungen der Coronapandemie, des Kriegs in der Ukraine und der Deglobalisierung in einigen Sektoren belasten die Lieferketten nach wie vor
  • Verwerfungen im Handel können sich auf die Unternehmensgewinne auswirken. Um dem entgegenzutreten, gestalten die Unternehmen ihre Lieferketten um und investieren in neue Technologien
  • In dieser Disruptionsphase bieten sich aus Anlegersicht Chancen in Sektoren wie Robotik, Datenzentren und Agrartechnologie, die zur Neugestaltung der Lieferketten beitragen

Seit kurzem wird wieder Getreide aus dem Hafen von Odessa ausgeführt. Dadurch entspannt sich die Lage in zahlreichen Ländern, die Grundnahrungsmittel aus der Ukraine beziehen. Nichtsdestotrotz hält der seit 2020 zu spürende Druck auf die Lieferketten an.

In den vergangenen beiden Jahren kam es bei zahlreichen Gütern zu Engpässen, von Toilettenpapier bis zu Halbleiterchips. Das hat Verbrauchern wie Unternehmen weltweit Kopfschmerzen bereitet. Die Ursachen sind vielfältig, von der Coronapandemie bis zur Deglobalisierung in einigen Sektoren und in jüngster Zeit auch noch der Krieg in der Ukraine.

Zuletzt waren Anzeichen dafür zu erkennen, dass der Druck auf die Lieferketten abklingt. Dennoch bleiben die Belastungen historisch hoch, und am Horizont zeichnet sich die Gefahr von stärkeren geopolitischen Spannungen, Streiks und weiteren Covid-19-Lockdowns in China ab.1

Diese Disruptionsphase hat jedoch auch etwas Gutes. In vielen Fällen treibt sie Innovationen voran: Die Unternehmen wollen ihr Geschäft zukunftsfest machen – und dafür investieren sie häufig in Technologie oder überarbeiten jahrzehntealte Lieferkettenstrategien.

Für die Anleger ergeben sich daraus einerseits Herausforderungen, andererseits Chancen.

Kurzfristig dürften die Gewinnmargen der Unternehmen durch die Lieferprobleme unter Druck geraten – vor allem, wenn die Unternehmen für Kostensteigerungen infolge von Lieferverzögerungen anfällig sind. Dies gilt beispielsweise für Transport- und Logistikunternehmen, Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe und Einzelhändler. Längerfristig bieten sich den Anlegern jedoch Chancen in verschiedenen Bereichen, von Robotik bis zu einer Diversifizierung der Lieferanten, da die Unternehmen ihr Geschäft krisenfester machen möchten.

In Innovation investieren

Inwiefern setzen die Unternehmen nun angesichts der Entwicklungen auf mehr Innovation? Von einer Erhöhung der Lagerbestände bis zu einer effizienteren Verpackung von Lieferungen prüfen die Unternehmen, wie sie ihre Lieferketten durch Automatisierung und intelligente Datennutzung optimieren können. Dazu gehört auch ein stärkerer Einsatz von Robotern. Für viele Unternehmen steigen die Ausgaben im Zuge der Inflationsbeschleunigung. Mit Hilfe von Robotern lassen sich Routineaufgaben wie Lagermanagement und Auslieferungen verschlanken und gleichzeitig Arbeitskosten senken. Das Personal kann dann in Bereichen mit höherer Wertschöpfung eingesetzt werden, wo eine Automatisierung nicht sinnvoll ist.

Außerdem besteht weiteres Investitionspotenzial. Derzeit werden laut den jüngsten Zahlen der International Federation of Robotics im verarbeitenden Gewerbe weltweit pro 10.000 Beschäftigte rund 126 Industrieroboter eingesetzt. An wichtigen Produktionsstandorten wie Südkorea und Singapur liegt die Roboterdichte im hohen einstelligen Bereich. Dies deutet auf Aufholpotenzial in Märkten wie China, USA und Frankreich hin, wo die Dichte sehr viel geringer ist (vgl. Abbildung 1).2

Abbildung 1: Roboterdichte im verarbeitenden Gewerbe

Quelle: World Robotics 2021, Roboterdichte hat sich weltweit nahezu verdoppelt – International Federation of Robotics (ifr.org)

Lebensmittelversorgung

Auch in der Agrartechnologie finden umfangreiche Innovationen statt. Das Interesse an diesem Sektor ist durch die Sorgen um die Lebensmittelsicherheit gestiegen, die durch den Ukrainekrieg und Covid-19 noch verschärft wurden. Anfang 2022 kletterten die Lebensmittelpreise auf Rekordhöchststände. Seither sind sie zwar wieder zurückgegangen, aber hohe Düngerpreise, ein ungünstiger Konjunkturausblick und Wechselkursbewegungen könnten die Aussichten trüben. Dies spricht unseres Erachtens für höhere Investitionen in Agrartechnologie und Bewässerungsausrüstung.

Die langfristigen Wachstumsaussichten des Sektors haben sich in den vergangenen Jahren verbessert, weil immer mehr Länder ihre Lebensmittelversorgung krisenfester gestalten wollen, um nicht so stark von Naturereignissen wie Dürren oder Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen zu werden, die durch den Klimawandel immer häufiger werden. Wagniskapitalinvestitionen in Agrartechnologie (worunter alles vom Einsatz von Robotern bis hin zu GPS Technologie fällt) schnellten 2021 um 61% gegenüber dem Vorjahr auf die Rekordsumme von 11,3 Milliarden US Dollar in die Höhe.3 Sie dürften noch weiter ansteigen, weil moderne Anbautechnologie eine Reduzierung des Wasser-, Dünger- und Pestizideinsatzes ermöglicht.

Datensammlung

Moderne Analysetechnologien können für Unternehmen bei der Planung und beim Risikomanagement hilfreich sein. Die jüngsten Lieferkettenverwerfungen haben unter anderem gezeigt, dass nur sehr wenige Unternehmen alle Stationen ihrer Lieferketten im Blick haben. In einer McKinsey-Umfrage aus dem Jahr 2021 zeigte sich, dass Unternehmen, die gut in der Covid-19-Pandemie zurechtgekommen waren, nach eigenem Bekunden mit 2,5-fach so hoher Wahrscheinlichkeit auch schon vorher auf moderne Analysetechniken zurückgegriffen hatten.4 Das bedeutet: Unternehmen, die in moderne Analysetechniken investieren, sind womöglich besser dazu in der Lage, mit Umbrüchen und konjunkturellem Gegenwind umzugehen. Weil die Unternehmen mehr und besser aufbereitete Daten benötigen, steigt auch das Interesse an Datenzentren. Aus Anlegersicht bieten Datenzentren Diversifizierungsmöglichkeiten und ein Engagement in Vermögenswerten mit langfristigen Wachstumstreibern.

Lieferketten verändern sich

Über die technologischen Entwicklungen hinaus müssen sich die Anleger auf breiter angelegte Änderungen der Lieferstrategien einstellen. Es lohnt sich, nach Unternehmen zu suchen, die proaktiv auf die jüngsten Herausforderungen reagieren.

Durch die jüngsten Verwerfungen können die Unternehmen unter anderem nicht mehr so flexibel auf Veränderungen der Konsumnachfrage oder auf geopolitische Ereignisse wie die handelspolitischen Spannungen zwischen den USA und China, Großbritanniens Ausscheiden aus der Europäischen Union oder den Krieg in der Ukraine reagieren.

Deshalb geben einige Unternehmen die seit Jahrzehnten im Supply-Chain-Management geltende Philosophie der Just-in-Time-Produktion auf und setzen verstärkt auf eine Just-in-Case-Strategie, bei der sie umfangreichere Lagerbestände vorhalten.

Andere diversifizieren ihre Lieferanten und intensivieren das Nearshoring, verlagern also ihre eigene Produktion näher an die Region, in der die Nachfrage besteht, oder beziehen Lieferungen aus der näheren Nachbarschaft.

Durch diesen Trend zum Nearshoring könnte das Interesse an lokalen Lagerhäusern steigen, wenn immer mehr Unternehmen ihre Lieferkette krisenfester gestalten wollen, um sich gegen Engpässe aufgrund geopolitischer Krisen oder eine Neuauflage der coronabedingten Engpässe abzusichern.

In manchen Bereichen wollen auch die Regierungen die Abhängigkeit ihrer jeweiligen Länder von wichtigen Bauteilen aus dem Ausland verringern. Im August 2022 wurde in den USA ein Gesetz verabschiedet, das milliardenschwere Subventionen für Halbleiterproduktion und -forschung im Inland vorsieht. Die Europäische Union und andere Regionen haben ähnliche Pläne zum Aufbau einer eigenen Chipindustrie angekündigt. Langfristig kann dies zur Bekämpfung der globalen Engpässe bei Chips beitragen, die sich aus der steigenden Nachfrage nach Autos und anderen Produkten, für die die Chips benötigt werden, ergeben.

Unternehmen, die diese Herausforderungen entlang der Lieferketten jetzt meistern, könnten besser positioniert sein, um künftige Disruptionsphasen zu überstehen oder sogar davon zu profitieren.

Kurzum, die Anleger sollten sich unter strategischen Gesichtspunkten überlegen, was Lieferkettenprobleme für ihr Portfolio bedeuten können – sowohl in Form kurzfristiger Disruptionen als auch längerfristiger Chancen, die sich aus breiteren strukturellen Veränderungen im verarbeitenden Gewerbe und der Logistik und den entsprechenden Technologien ergeben könnten.

1Quelle: Global Supply Chain Pressure Index, Federal Reserve Bank of New York, Juli 2022
2Quelle: 2021 World Robot Report, International Federation of Robotics, Dezember 2021
3Quelle: Investment Monitor (unter Rückgriff auf PitchBook-Daten), 8. Juli 2022
4Quelle: McKinsey, 23. November 2021

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