Kapitalismus mit „S“

Zusammenfassung

Soziale Fragen spielten gegenüber anderen Nachhaltigkeitsthemen wie z.B. dem Klimawandel bisher häufig eine Nebenrolle. Das ändert sich gerade. Die Covid-19-Pandemie hat schlaglichtartig aufgezeigt, wie ungleich die Zugangsmöglichkeiten sowohl zu lebensnotwendigen Gütern als auch zu Chancen auf ein gutes Leben verteilt sind. Die Lösung: ein Kapitalismus mit anderem Antlitz.

Zentrale Erkenntnisse

  • Die Covid-19-Pandemie hat die Schwächen der modernen Just-inTime-Wirtschaft offengelegt und klar aufgezeigt, dass der Zugang sowohl zu lebensnotwendigen Gütern als auch zu den Grundlagen für ein gutes Leben sehr ungleich verteilt ist
  • Durch die jüngsten Ereignisse ist das „S“ von ESG wieder stärker ins Blickfeld gerückt: Es bezeichnet soziale Probleme, die gegebenenfalls das Wachstum und die Krisenfestigkeit von Volkswirtschaften dämpfen und eventuell durch Klimawandel und Digitalisierung verstärkt werden
  • Das Konzept des „inklusiven Kapitalismus“ gewinnt im Rahmen eines inklusiveren Ansatzes beim Wirtschaftswachstum an Bedeutung. Es steht gleichberechtigt neben den anderen beiden Säulen unseres Nachhaltigkeitskonzepts bei AllianzGI (Klimawandel und Grenzen des Planeten)
  • Durch Investitionen in den inklusiven Kapitalismus können Anleger die Entwicklung zu einer gerechteren Welt beschleunigen und gleichzeitig von Wachstumschancen profitieren, wenn neue Ansätze verwirklicht und Infrastrukturen ausgebaut werden

Mit dem aus dem Englischen übernommenen Kürzel „ESG“ werden Umwelt-, soziale und Governance-Faktoren bezeichnet, die für nachhaltiges Investieren eine zentrale Rolle spielen. Das „S“ – also die sozialen Fragen – spielten dabei lange gegenüber anderen Nachhaltigkeitsaspekten eine Nebenrolle. Inzwischen rückt es jedoch zunehmend ins Gesichtsfeld.

Das ist unter anderem auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen: Sie hat uns allen vor Augen geführt, welche schwerwiegenden Folgen es haben kann, wenn es in bestimmten Ländern oder Gemeinschaften an Ressourcen und Möglichkeiten mangelt, die woanders selbstverständlich sind. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer vollständigen gesellschaftlichen Marginalisierung – der sogenannten „sozialen Exklusion“ – dieser Gemeinschaften. Außerdem wächst das Bewusstsein für die enge Verknüpfung zwischen sozialen und Umwelt- bzw. Klimawandelproblematiken (dem „E“ von ESG). Es ist daher sinnvoll, diese Themen gemeinsam anzugehen.

Allianz Global Investors ist klar, welche Bedeutung soziale Themen in der heutigen Welt haben. Grund genug, das Konzept des „inklusiven Kapitalismus“ als eine der drei thematischen Säulen unserer Nachhaltigkeitsstrategie zu etablieren. Die anderen beiden Schwerpunkte liegen auf dem Klimawandel und den Grenzen des Planeten (z. B. Biodiversität). Zentraler Bestandteil unserer Zielsetzung: Wir wollen mit unseren Kunden an der Schaffung einer inklusiven, faireren und nachhaltigeren Welt arbeiten. Unseres Erachtens ergeben sich neue Märkte und Wachstumschancen, wenn Unternehmen innovativ zur Verringerung von Ungleichheit beitragen und die Bedürfnisse bisher unterversorgter Gemeinschaften decken.

Warum Ungleichheit zunehmend Anlass zur Sorge gibt

Wie lässt sich „Ungleichheit“ definieren?

Beim Thema Soziales geht es vor allem um die Beseitigung von Ungleichheiten. Aber was bedeutet dieser Begriff überhaupt?

  • Einkommens- und Vermögensungleichheiten gehören sicherlich zu den zentralen Bereichen, um die man sich kümmern muss. Aber Ungleichheit lässt sich unseres Erachtens nicht allein an finanziellen Dingen festmachen. Weltweit haben die Menschen in sehr unterschiedlichem Umfang Zugang zu Grundbedarfsgütern, also „lebensnotwendigen Gütern“ wie Nahrung, Wasser und saubere Luft (siehe Abbildung 1).
  • Zudem mangelt es häufig auch an den Grundlagen für ein „gutes Leben“ wie Bildung oder Infrastruktur. Diese sind erforderlich, damit die Menschen an wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Prozessen teilhaben und ein produktives und kreatives Leben führen können. Die UNESCO hat ermittelt, dass „sozial ausgegrenzte“ Menschen, denen es an diesen Grundlagen für ein gutes Leben mangelt, „lediglich am Rand der Gesellschaft existieren“.1

Bildung nimmt durch Covid-19 Schaden

Weil die Schulen während der Pandemie geschlossen wurden, konnten 101 Millionen Kinder weltweit keine grundlegenden Lesekompetenzen erwerben; sieben Millionen davon leben in Westeuropa und Nordamerika.2 Angaben der Weltbank zufolge fallen die Einkünfte von Kindern mit Lernlücken über deren gesamte Lebenszeit hinweg um insgesamt 10 Billionen US-Dollar niedriger aus. Das entspricht 8 % des globalen BIP.3

Covid-19 hat Ungleichheiten zutage treten lassen

Die Covid-19-Pandemie hat Exklusions- und Ungleichheitsprobleme verschärft – und die Konsequenzen gehen weit über Gesundheit und Wohlbefinden hinaus. Es ist offensichtlicher denn je, dass selbst Grundbedürfnisse wie die Nahrungs- und Gesundheitsversorgung vielerorts nicht erfüllt sind. Darüber hinaus haben viele Menschen keinen hinreichenden Zugang zu Bildung und Finanzdienstleistungen, mit deren Hilfe sie sich ein besseres Leben aufbauen könnten. Das ist ein Grund dafür, warum beim Kampf gegen die Armut während der aktuellen Krise Rückschritte zu verzeichnen sind. Weltweit stieg der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen im Jahr 2020 zum ersten Mal seit 1998 wieder an, von 8,4 % (2019) auf 9,5 %.4

Diese Ungleichheiten treten auf verschiedene Weise zutage. In einer Umfrage unseres Grassroots Research®-Teams sagten 27 % der französischen Lehrkräfte, dass es beim OnlineLernen während der Pandemie zu größeren Schwierigkeiten gekommen sei. Davon waren vor allem Schüler und Studenten aus niedrigen Einkommensschichten und in ländlichen Gebieten betroffen, die über eine unzureichende Internetanbindung oder Hardwareausstattung verfügten.5 Da eine verlässliche technische Ausstattung für das Berufsleben zunehmend wichtiger wird – zumal immer mehr Menschen im Homeoffice arbeiten –, ist die „digitale Kluft“ zwischen Menschen mit bzw. ohne eine angemessene digitale Anbindung eine wichtige neue Ursache für Ungleichheit.

Abbildung 1: Lebensnotwendige Güter und Grundlagen für ein gutes Leben

Abbildung 1: Lebensnotwendige Güter und Grundlagen für ein gutes Leben

Der Klimawandel ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Lokale Umweltressourcen spielen gerade in den ärmsten Ländern für einen großen Teil der Bevölkerung eine zentrale Rolle – und eben diese Ressourcen werden durch die Erderwärmung beeinträchtigt.

So schätzt das Intergovernmental Panel on Climate Change unter Zugrundelegung des mittleren Szenarios für die Bevölkerungsentwicklung, dass bei einer Erwärmung um 1,5°C bis zum Jahr 2050 insgesamt 178 Millionen Menschen – darunter viele Frauen, Kinder und ältere Menschen – von Wassermangel, stärkere Dürren und Lebensraumverschlechterungen betroffen sein werden. Bei einer Erwärmung um 2°C steigt diese Zahl auf 220 Millionen Menschen6

Ungleichheit ist für uns alle ein Problem

Die Covid-19-Pandemie ist nur das offensichtlichste Beispiel für eine weltweite Krise, die deutlich auf globale Ungleichheiten hingewiesen hat. Die jüngsten Finanzkrisen oder die immer häufigeren Extremwetterereignisse fallen jedoch in dieselbe Kategorie. Ungleichheiten vermindern die Fähigkeit der Gesellschaft, die Folgen solcher ernsthaften Krisen abzumildern oder zu beheben, und sind insofern für uns alle ein Anlass zur Sorge:

  • Covid-19 hat gezeigt, wie abhängig die Wirtschaft von globalen und knapp kalkulierten Lieferketten ist, und hat so die mangelnde Krisenfestigkeit des „Just-in-Time“-Modells offenbart. Lieferunterbrechungen oder -verzögerungen wirken sich auf uns alle aus.
  • Beispielhaft seien die Auswirkungen eines Hafenarbeiterstreiks auf die weltweite Güterversorgung oder die preistreibenden Effekte genannt, die auftreten würden, wenn wir wirklich einen „fairen“ Preis für Güter zahlen würden, der auch soziale und ökologische Kosten einbezieht.
  • Dauerhafte Ungleichheiten führen häufig zu höheren politischen oder sogar geopolitischen Risiken. Ein solches Umfeld ist in der Regel ungünstig für das Wirtschaftswachstum, weil dann die Kosten steigen und weniger Kapital verfügbar ist. In vielen Regionen der Welt hat dies zu umfangreichen Flüchtlingskrisen geführt.

Die digitale Kluft überwinden

Rund 2,9 Milliarden Menschen oder etwa 37% der Weltbevölkerung haben weltweit noch keinen Zugang zum Internet. 96% von ihnen leben in den Entwicklungsländern. Dies erschwert das Leben gewaltig. Unter anderem besteht ein Zugangsproblem: Rund 390 Millionen Menschen sind nicht einmal in der Reichweite eines mobilen Breitbandsignals.7

Das Wirtschaftsmodell in Richtung eines inklusiven Kapitalismus verschieben

Es ist an der Zeit, Gesellschaft und Wirtschaft inklusiv und fair zu gestalten

Durch ein stetiges und jahrzehntelanges Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in zahlreichen Ländern ist der allgemeine Lebensstandard gestiegen, und viele Menschen wurden aus der Armut befreit. Dies zeigt, wie gut der Kapitalismus funktioniert. Aber das BIP stößt als alleinige Messgröße an Grenzen. Es gibt keinen Aufschluss über eine ungleiche Einkommensverteilung. Außerdem sagt es nichts über andere Arten gesellschaftlicher Ungleichheit aus, z.B. einen unterschiedlichen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Bildung oder Infrastruktur.

Dem Allianz Global Wealth Report zufolge besaßen die reichsten 10% der Weltbevölkerung im Jahr 2020 zusammengenommen über 84% aller Netto-Finanzvermögenswerte, und die Mittelschicht schrumpft.8 Zahlen der OECD zeigen, dass die Medianeinkommen seit Mitte der Achtzigerjahre langsamer wachsen als die Spitzeneinkommen. Die Covid-19- Pandemie hat diesen Trend noch verschärft.

Abbildung 2: Medianeinkommen wachsen langsamer als Spitzeneinkommen
Wachstum des real verfügbaren Einkommens nach Einkommensschicht, Durchschnitt für 17 OECD-Länder, 1985 – 2016 (1985 = 100%)

Abbildung 2: Medianeinkommen wachsen langsamer als Spitzeneinkommen

Anm.: Ungewichteter Durchschnitt für 17 Länder, für die langfristige Daten verfügbar sind: Kanada, Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Israel, Italien, Japan, Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Neuseeland, Schweden und USA. Verfügbare Einkommen, bereinigt um die Größe der Haushalte.
Quelle: Kapitel 2, OECD-Berechnungen aus der OECD Income Distribution Database. Stand: April 2019. StatLink Data

Genau hier setzt das Konzept des inklusiven Kapitalismus als Teil eines inklusiveren Ansatzes für das Wirtschaftswachstum an. Das World Economic Forum (WEF) hat vor kurzem sein Inclusive Growth Framework vorgestellt. In der Davoser Erklärung vom Jahr 2020 erweiterte das WEF die Definition des Unternehmenszwecks so, dass alle Stakeholder

  • Beschäftigte, Kunden, Lieferanten, lokale Gemeinschaften und die Gesellschaft insgesamt
  • an einer gemeinsamen und nachhaltigen Wertschöpfung beteiligt werden sollen.9

Darüber hinaus haben über 190 Länder die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Vereinten Nationen unterzeichnet, um eine bessere und nachhaltigere Zukunft für alle zu sichern. Die SDGs setzen Prioritäten bei Zielen wie „keine Armut“, „gute Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum“ und „hochwertige Bildung“. So geben sie Unternehmen eine Leitlinie an die Hand, um die entsprechenden Themen einerseits im Unternehmen selbst und andererseits mit Hilfe ihrer Produkte und Dienstleistungen anzugehen.

Soziale Unsicherheit

Vor der Pandemie arbeiteten weltweit 60% der abhängig Beschäftigten in informellen Beschäftigungsverhältnissen. Das heißt: Zwei Milliarden Menschen weltweit hatten einen Arbeitsplatz, der grundlegenden Schutzanforderungen (einschließlich Sozialversicherungsschutz) nicht entsprach.10

Das SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz ist für die Diskussion über einen inklusiven Kapitalismus von besonderer Bedeutung, weil es besonders auf die Bedürfnisse von Frauen, jungen Menschen und lokalen und marginalisierten Gemeinschaften beim Thema Klimaschutzplanungen abstellt. Gerade anhand des SDG 13 wird augenfällig, wie eng der Weg hin zu einer inklusiveren Welt und das 1,5-GradZiel miteinander verflochten sind. Die Umstellung auf eine CO2 -arme Wirtschaft kann durchaus soziale Auswirkungen haben, wenn z.B. Arbeitsplätze durch die Abkehr von fossilen Brennstoffen in Gefahr geraten. Dies steht hinter den Forderungen nach einer „gerechten Energiewende“. Bei der COP26 im November 2021 unterzeichneten über 30 Länder die Just Transition Declaration, in der es heißt, niemand dürfe bei der Umstellung auf Netto-Null-Emissionen zurückgelassen werden.11 Diese gegenseitige Abhängigkeit gilt in beiden Richtungen: Humankapital muss „entfesselt“ werden, damit die erforderlichen Kompetenzen für die Klimawende genutzt werden können.

Die SDGs können als dringend benötigte Leitlinien dienen, um einige der drängendsten Nachhaltigkeitsprobleme der Welt zu klären. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: Von den 8.550 Unternehmen im MSCI All Country World Index verhalten sich knapp 40% konform mit mehreren SDGs (Abbildung 3). Am größten sind dabei die Übereinstimmungen beim SDG 5: Gleichberechtigung der Geschlechter. Andere Unternehmen haben dagegen noch einen weiten Weg vor sich: 7% wurden als „nicht konform“ eingestuft, wobei vor allem beim SDG 7: Bezahlbare und saubere Energie Abweichungen festgestellt wurden.12

Abbildung 3: Unternehmen setzen sich mit Nachhaltigkeit auseinander
Grad der Konformität der Unternehmen mit den SDGs

8.550 Unternehmen

Abbildung 3: Unternehmen setzen sich mit Nachhaltigkeit auseinander

This chart displays distribution of companies’ assessment by SDG for a set of 8,550 companies, as at 11 August, 2020.
Source: MSCI ESG Research LLC. Data as at August 2020.

Die Lücke gegenüber dem Thema Klimawandel schließen

Diese Schritte sind zwar ermutigend, aber nichtsdestotrotz wird dem Ziel einer inklusiveren Welt nach wie vor weniger Aufmerksamkeit gewidmet als den Themen Klimawandel und Umwelt. Das Hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen, sozusagen das SDG-Äquivalent zur Klimakonferenz, tagte in diesem Jahr gerade zum 13. Mal, und die Berichterstattung in den Medien ist längst nicht so ausführlich.

Wie lässt sich dies erklären? Zum einen erscheint das Thema nicht so dringlich, zum anderen herrscht der Eindruck vor, Ungleichheit sei vorwiegend ein Problem in weit entfernten Ländern. Außerdem ist es von vornherein sehr viel schwieriger, soziale Fragen anzugehen. Im Kampf gegen den Klimawandel gibt es ein klares und messbares Ziel: NettoNull-Emissionen, um die Erderwärmung zu stoppen. Für die Schaffung einer fairen und inklusiven Welt lässt sich dagegen kein einheitliches quantitatives Ziel definieren, hinter das sich alle stellen können. Zudem stellt sich die Frage, wie nachhaltige Entwicklung gemessen werden soll. Dazu gehören viele verschiedene Themen, von Bildung, Arbeit und Rente bis hin zum Gesundheitswesen und dem Finanzsystem. Darüber hinaus bestehen beträchtliche kulturelle und rechtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Regionen.

Das „S“ sitzt also im Vergleich zu E und G gewissermaßen am Katzentisch. Aber das Thema gewinnt an Bedeutung. Soziale Themen sind Millennials und Investoren der Generation Z besonders wichtig. Zugleich wächst in den USA das Bewusstsein für Ungleichheiten, und diese Entwicklung wird von dort in andere Länder der Welt exportiert.

Unser Rahmenwerk für einen inklusiven Kapitalismus bei Allianz Global Investors

Aufgrund der Erfahrungen beim Thema Klimawandel wird vielen Anlegern zunehmend klar, dass sie durch ihre Investitionsentscheidungen durchaus etwas Positives bewirken können. Dies gilt auch für die Schaffung einer inklusiveren Welt.

Als Unternehmen mit einer soliden ESG-Historie bemüht sich Allianz Global Investors seit einigen Jahren darum, auch soziale Nachhaltigkeitsfaktoren in die Investmentprozesse einzuarbeiten.13 Im Zuge unserer ESG-Risikobeurteilung befassen wir uns auch mit der Frage, inwiefern die von uns gehaltenen Unternehmen ihre Tarifbeziehungen verbessern oder ihre Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften ganzheitlicher in Betracht ziehen sollten.

Neue Kompetenzen werden benötigt

Schätzungen der Internationalen Energieagentur zufolge werden durch die Abkehr von fossilen Brennstoffen rund fünf Millionen Arbeitsplätze verloren gehen. Bis 2030 werden jedoch gleichzeitig etwa 30 Millionen Arbeitskräfte benötigt, um die steigende Nachfrage nach sauberen Energien und emissionsarmen Technologien zu befriedigen. Bei der Hälfte davon handelt es sich um hoch qualifizierte Arbeitsplätze.14

Wir wissen aber, dass wir und die Industrie noch mehr tun können. Wir haben den inklusiven Kapitalismus zum dritten zentralen Thema unseres Nachhaltigkeitsresearch gemacht. Das bedeutet, dass wir Ressourcen und Personal einplanen, um neue Themen zu identifizieren, das Bewusstsein zu schärfen und den Wandel voranzutreiben. Angesichts der engen Verflechtung von sozialen Fragen, Klimawandel und Umwelt können wir dieses Thema neben den beiden anderen thematischen Säulen Klimawandel und Grenzen des Planeten adressieren.

Unsere Analyse der Begrifflichkeiten eines inklusiven Kapitalismus hat uns dazu veranlasst, zwischen lebensnotwendigen Gütern und Grundlagen für ein gutes Leben zu unterscheiden. Ungleichheiten und Ausgrenzung verdienen unseres Erachtens dieselbe Aufmerksamkeit, denn Exklusion ergibt sich in der Regel aus Ungleichheiten, die einen gewissen Schwellenwert überschritten haben. Dazu hat auch die Pandemie beigetragen. Voraussichtlich wird dieser Schwerpunkt zu Produktinnovationen führen, einschließlich neuer, Impact-fokussierter Anlagestrategien. Außerdem wird er in Abstimmungsentscheidungen bei Hauptversammlungen und themenbezogenen Dialogprojekten eine Rolle spielen. Letztere sind ein bewährtes Mittel, um das Bewusstsein der Unternehmen zu schärfen. Konzertierte Aktionen und gemeinsame Initiativen, darunter auch die UN Principles for Responsible Investment, sind ebenfalls ein Hebel, um den Wandel voranzutreiben.15

Ungleichheit in Bezug auf Impfungen

Pro 100 Einwohner wurden in Europa und Nordamerika rund 68 Impfdosen verabreicht, verglichen mit nicht einmal zwei im subsaharischen Afrika.16

Nächste Schritte

Die Welt muss ihre Lehren aus der Pandemie ziehen: Sie hat uns gezeigt, wie dringend unser Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell verändert werden muss. Führende Persönlichkeiten weltweit geben den Weg beim Thema soziale Fragen vor. Die EU plant für 2022 die Einführung einer Sozialen Taxonomie, der Infrastrukturplan von US-Präsident Joe Biden weist eine soziale Dimension auf, und in China wird der Schwerpunkt auf „allgemeinen Wohlstand“ gelegt. All dies sind deutliche Anzeichen für eine Wende. Damit ist unseres Erachtens der Zeitpunkt gekommen, uns parallel zu den Themen Klimawandel und Umwelt auch aktiv zum inklusiven Kapitalismus zu positionieren. Diese miteinander verflochtenen Prioritäten gehören einerseits zu den größten Herausforderungen der Welt, bieten aber andererseits auch neue Chancen für Anleger, um die Schaffung einer inklusiveren und nachhaltigeren Welt zu unterstützen.

Abbildung 4: Das Rahmenwerk von AllianzGI für einen inklusiven Kapitalismus

Exhibit 4: AllianzGI framework for inclusive capitalism

VOLLSTÄNDIGEN ARTIKEL HERUNTERLADEN

1 UN definition; Beyond Transition: Towards Inclusive Societies (unesco.org).
2 Quelle: UN The Sustainable Development Goals (SDGs), 2021 | United Nations
3 WEF Briefing Paper: Shaping an Equitable, Inclusive and Sustainable Recovery
4 Quelle: UN UN The Sustainable Development Goals (SDGs), 2021 | United Nations – – Als extrem arm gelten Menschen, die weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben.
5 Grassroots Research® Market Monitor, Issue 3, 2020
6 Summary for Policymakers – Special Report on Climate Change and Land (ipcc.ch)
7 Measuring digital development – Facts and figures 2021 (itu.int)
8 Allianz Global Wealth Report 2021
9 WEF Briefing Paper: Shaping an Equitable, Inclusive and Sustainable Recovery
10 The Sustainable Development Goals (SDGs), 2021 | United Nations
11 Supporting the Conditions for a Just Transition Internationally - UN Climate Change Conference (COP26) at the SEC – Glasgow 2021 (ukcop26.org)
12 Assessing Company Alignment with UN SDGs - MSCI
13 Wir haben auch Studien zum Thema wirtschaftliche Ungleichheit veröffentlicht, z.B.: Allianz Global Investors | Enabling access to markets can help reduce inequality (allianzgi.com)
14 Net Zero by 2050 - A Roadmap for the Global Energy Sector (windows.net)
15 So haben wir einen Beitrag zur UN PRI-Studie über die Erholung nach Covid-19 geleistet: Covid-19 recovery and reform | Engagement guide | PRI (unpri.org)| PRI (unpri.org)
16 The Sustainable Development Goals (SDGs), 2021 | United Nations

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Quelle: Allianz Global Investors, Februar 2022.

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Nachhaltige Verpackungen – ein Bereich mit Zukunft

Kind das eine Plastikflasche gegen die Sonne hält – Nachhaltige Verpackungen – ein Bereich mit Zukunft

Zusammenfassung

Kunststoffe, insbesondere Plastikverpackungen, spielen in der Weltwirtschaft eine Schlüsselrolle: Sie verhindern, dass Produkte verderben, und erhöhen die Haltbarkeit von Lebensmitteln. Darüber hinaus sind Plastikverpackungen relativ leicht und tragen so dazu bei, beim Transport Energie und Treibstoff einzusparen und so auch Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Aber Kunststoffe haben nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile – vor allem für die Umwelt. Bisher gibt es keine eine echte Kreislaufwirtschaft für Plastik, so dass Millionen Tonnen von Kunststoffen in die Umwelt gelangen. Dies trägt nicht nur beträchtlich zur Verschmutzung der Meere bei, sondern zieht auch enorme Kosten für die Wirtschaft und negative Externalitäten in Milliardenhöhe nach sich. Es lohnt sich also, die Entwicklung von nachhaltigen Verpackungen zu fördern: Zum einen sinkt das Volumen an Plastikabfällen, zum anderen ergeben sich attraktive Chancen für ein Engagement an einem Markt, der in den kommenden fünf Jahren mit zweistelligen Raten wachsen sollte

Zentrale Erkenntnisse

  • Analysen zufolge geraten 95% des Materialwerts von Plastikverpackungen in den Abfall und gehen so für die Wirtschaft verloren. Dadurch entstehen jedes Jahr Kosten in Höhe von 80 – 120 Milliarden US-Dollar.1
  • Die Recyclingquote von Kunststoffen liegt lediglich bei rund 14%. Während der Sortierung und Aufbereitung entstehen zusätzliche Wertverluste. Daher werden nur aus rund 5% der Plastikverpackungen tatsächlich wieder Verpackungen hergestellt. Die restlichen 9% werden größtenteils für minderwertigere Zwecke genutzt.2
  • Knapp ein Drittel aller Plastikverpackungen kann nicht wiederverwertet werden.3
  • Durch Plastikverpackungen entstehen jedes Jahr Treibhausgasemissionen und sonstige Umweltschäden in Höhe von knapp 40 Milliarden US-Dollar.4
  • Die jährlichen Kosten dieser Nachnutzungseffekte und der während der Kunststoffherstellung entstehenden Treibhausgasemissionen belaufen sich auf mindestens 40 Milliarden US-Dollar.5
  • Der Markt für nachhaltige Verpackungen dürfte von geschätzt 305 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf knapp 470 Milliarden US-Dollar im Jahr 2027 wachsen.6

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